München


Am Freitagabend um kurz vor 18.00 Uhr eröffnet ein 18-jähriger Deutsch-Iraner das Feuer in einem Mc Donald‘s vor dem Olympia Einkaufszentrum (OEZ) in München. Dort trifft er auch seine ersten vier Opfer. Insgesamt tötet er 9 Menschen und richtet dann sich selbst. 36 weitere Personen verletzt er.


Eine traurige Bilanz. Das Thema wird auch heute noch, also drei Tage nach der Tat in den Medien ausdiskutiert. 
Fragen wie z.B. „Wie hieß er denn nun?“ Oder „War er wirklich Deutscher?“ beschäftigen noch viele Social Media Nutzer. 

Spiegel Online schreibt in einem Artikel, dass sein Name von den Behörden als David S. geführt worden sei. Ali habe er sich lediglich in „Gewaltspielen im Internet“ genannt, auch auf Facebook sei dies sein Name gewesen.

Andere Medien, z.B. Zeit online und n-tv  hingegen nennen ihn durchgängig „Ali S.“ oder „David Ali S.“. Ja, ich weiß. Diese furchtbare Lügenpresse.

*Update: Wie nun bekannt wurde, handelt es sich bei "Ali" um den Geburtsnamen den Amokläufers, den ließ er zu "David" ändern, weil er nicht als Muslim gesehen werden wollte.* 

Doch eigentlich könnt ihr die Fakten selbst finden, falls ihr sie nicht schon längst kennt. 
Ich möchte euch einen kleinen Einblick in mein Wochenende nach diesem furchtbaren Amoklauf geben.

Freitag, 18.10Uhr: Ich packe meine Sachen zusammen, bringe mein Glas in die Küche unseres Büros, verabschiede mich von meinen Kollegen und bahne mir den Weg Richtung Hauptbahnhof.
Kurz klingle ich bei meinem Bruder durch. Ein abendliches Ritual, das von uns als Feierabend-Call bezeichnet wird. Er ist schon Zuhause im viele hundert Kilometer entfernten Saarland. Ich wünsche ihm ein schönes Wochenende. Wir legen auf.

Ich beeile mich, in 40min steht ein guter Freund vor meiner Haustür im Stadtteil Bogenhausen. 

Am Abend zuvor habe ich extra einige coole Unternehmung für Freitagabend, Samstag und Sonntag raus gesucht, damit uns über‘s Wochenende auch nicht langweilig wird. 
 Dabei sind das Fest zu 500 Jahre Reinheitsgebot, Bites and Vibes und das Sommertollwood.

Endlich in der U-Bahn öffne ich in der Hoffnung auf leichte Unterhaltung die Studierenden-App Jodel. Hier können Studenten alles was sie bewegt anonym in 240 Zeichen an ihre Umgebung posten. Einer der ersten Beiträge lautet „Schießerei im OEZ!!! Haltet euch von dort fern!“ 
Die Kommentare darunter nehmen den Original-Jodler nicht ernst. „Hört doch mal auf Angst und Schrecken zu verbreiten!“ „Bild oder es ist nie so passiert!“ liest man darunter. 

Tatsächlich ist auch schon am Montag vergangene Woche ein Jodel aufgetaucht, in dem von einer Messerstecherei am HBF berichtet wurde. Die beschriebene Tat fand wenige Wochen zuvor in Nürnberg statt.

Schnell google ich "München OEZ News". Alles was ich finde liegt schon ein Jahr zurück. 

Irgendwo zwischen Hoffen und Bangen les ich die Jodelkommentare weiter „Meine Freundin arbeitet dort! Sie mussten sich verbarrikadieren! Es stimmt! Weg da!“ Ich aktualisierte die Google News. Nichts Neues. 

„Wer denkt sich bitte sowas Krankes aus?“, rege ich mich noch in einer Nachricht an eine Freundin auf. 

Dann ging’s ganz schnell. 

Mir fiel der Mann vor mir auf, der mehrmals versucht jemanden zu erreichen. In mir steigt ein mulmiges Gefühl auf. Er scheint verzweifelt. Niemand hebt ab.

18.26Uhr: tz online berichtet von Schüssen. 

Zur Beruhigung sende ich meinen Eltern einen Screenshot und die kurze Nachricht „Falls euch diese Nachricht erreicht, macht euch keine Sorgen. Ich bin nicht in der Nähe und auf dem Heimweg. Hab euch lieb“. 
Zu diesem Zeitpunkt steige ich gerade aus der U-Bahn aus.

18.35Uhr: Zeitgleich mit den ersten Nachfragen ob es mir gut geht, sende ich auch eine an eine Münchener Freundin. „Geht’s euch gut? Wo seid ihr?“ Es folgt Erleichterung. „Alles gut.“

18.40Uhr: Endlich Zuhause! Insgeheim hoffe ich immer noch darauf, dass sich da jemand einen schlechten Scherz erlaubt. Diese Hoffnung wird enttäuscht.

19.00Uhr: Ich schaue nervös aus dem Fenster und warte auf den silber-grünen Focus, der doch jetzt bald endlich um die Ecke biegen sollte. „Hoffentlich sind die Straßen noch nicht zu.“, denke ich. 

Es beginnt zu tröpfeln. 

Mein Blick pendelt zwischen Fenster und Smartphone hin und her. 

„Na endlich!“ Der Ford biegt um die Ecke. Ich schnappe mir schnell meinen Schlüssel und laufe die Treppen runter und auf die Straße. 

Endlich ein bekanntes Gesicht! Die erste Frage des jungen Mannes, der gerade aus dem Auto steigt lautet „Hast du das von der Schießerei am OEZ gehört?“ Ich nicke. „Es kursieren Gerüchte von 15 Toten und 30 Verletzten.“ 

Wir nehmen seinen Rucksack in Tarnfarben und verschwinden im Haus.

Der restliche Abend: Weitestgehend bestehen die nächsten Stunden aus dauerhaftem Stieren auf den Smartphone-Bildschirm. 

Ich könnte auch den Fernseher an machen, doch die Angst vor den Bildern ist zu groß. 

Lieber weiter N24 auf Facebook verfolgen. 

Wir diskutieren viel. Wir lachen selten über so manchen dummen Kommentar auf Facebook und wir malen uns die Meldungen von morgen aus. 
Irgendwann gegen Mitternacht und nach vielen besorgten Nachrichten von Verwandten und Freunden gehen wir dann schlafen.

Samstag, 9.08Uhr: Ich wache auf. Mein Schädel dröhnt. Mit zusammengekniffenen Augen versuche ich zu verstehen, was gestern passiert ist und was ich nur geträumt habe. 

Mein Handy blinkt. Zwei weitere sorgenvolle Nachrichten erinnern mich an den Amoklauf.

Ich lese mir die Meldungen von letzter Nacht durch. „Vorsichtige Entwarnung“ und „Nahverkehr rollt wieder“ brennen sich ein. 

10.24: Zum Frühstück geht’s trotzdem in die Stadt. 

Die U-Bahn Linie 4 verkehrt nur bis Odeonsplatz. Eine junge Frau fragt „Sind Stachus und Hauptbahnhof noch gesperrt?“ Keiner kennt die Antwort. Auch die MVV-App lässt uns im Stich. 

Die Stimmung in der U-Bahn ist irgendwie drückend. Keiner scheint sich so richtig wohl zu fühlen. Fast alle schweigen. 
 Und so sieht es auch in der Stadt aus. 
Es ist nur noch wenig zu sehen von dem unbekümmerten Leben in Deutschlands sicherster Großstadt. 

Viel Polizei ist unterwegs. Bei 26°C sitzen sie im Auto und fahren die Strecke von Marienplatz bis Odeonsplatz rauf und runter. 

Niemand lacht um uns herum.

11.58: Wir machen uns auf in den Englischen Garten. 

Vom Stachus mit der Tram bis zur Tivolistraße.
Nur wenige Menschen sitzen in der Tram. 
Endlich angekommen, fällt uns sofort auf, dass nur ein paar Leute auf den Wegen und den Wiesen zu finden sind. 

Weit hinten erkennen wir eine Horde Menschen. Wir laufen darauf zu. 

Endlich etwas Normalität. Ca. 100 junge Erwachsene trinken, hören Musik und sind gut gelaunt. 

In direkter Nähe setzen wir uns an das kalte Wasser die Isar. Es tut gut sich von der guten Laune der Meute anstecken zu lassen.

17.21: Screenshots sind im Umlauf. Angeblich ruft wieder ein junges Mädchen dazu auf, sich vor einem Mc Donald’s zu treffen. 

Die Angst in den Menschen sitzt tief. „Haltet euch von dort fern!“ und „Es passiert wieder!“, liest man ununterbrochen. Wir beschließen ins Kino zu gehen. 
Am Stachus versteht sich.

19.55: Das Kino füllt sich. 

Viele Eltern mit Kindern sind da und wollen den neuen Ice Age Film schauen. 
Die Eltern wirken angespannt, die Kinder fröhlich.

Sonntag, 9.21: Mal abgesehen von einigen Schauern bleibt die Nacht ruhig. 

Das mulmige Gefühl sich in der Öffentlichkeit zu bewegen, hat aber noch nicht bei jedem nachgelassen.

11.47: Mit der U-Bahn am Odeonsplatz angekommen schauen wir uns um. 
Beinahe lächerlich wie wenige Münchener unterwegs sind. 

Wir betreten eine italienische Bäckerei, besorgen uns Frühstück und fahren raus zu einem Spaziergang in die Partnachklamm. 
Jetzt wissen wir, wo die Menschenmassen hin sind. 
Und das kühle Bergwasser scheint den Verstand zu erfrischen. 
Oder ist es einfach nur die Ignoranz der Menschen, die jetzt wieder überhandnimmt? 
Nur noch wenige entrüsten sich über die „Lügenpresse“ nur noch wenige fragen nach Details. 

20.03: Zurück in München geht es mit der U-Bahn wieder ins Zentrum. 
Ziel diesmal ist der Viktualienmarkt. Eine Halbe, dann fahren wir wieder nach Hause. 
Gesagt - getan! Gegen 23.00Uhr gehen wir schlafen.

Montag 8.40: Heute Morgen, etwas früher als sonst, schaue ich mich am Hauptbahnhof um. 

Der Alltagstrott hat die meisten Menschen wieder gepackt. 
Wir hetzen aneinander vorbei. 
Doch heute überrascht mich kein Lächeln in der U-Bahn. 
Es ist immer noch ruhig. Beinahe gespenstig ruhig.

Traurig frage ich mich wie eine einzelne Person es schaffen konnte einer ganzen Stadt ihren Lebensmut zu rauben? 

Am liebsten würde ich schreien: Amokläufe passieren, man kann sie nicht verhindern! Die Kunst ist es nur, sich auch wieder davon zu erholen! Wo bleibt die „Mia san Mia“-Mentalität? Wo das Lachen der Madeln und Buan? Und wo bleiben wir?