Eine gute Tat pro Tag


Eine typische Zugfahrt beginnt

Am vergangenen Wochenende habe ich mal wieder über fünf Stunden Zugfahrt auf mich genommen, um meine Lieben Zuhause „Hallo“ zu sagen.

Donnerstagabend begann die Reise nach 8 anstrengenden Stunden im Büro. Genervt davon, dass der Zug schon wieder an einem anderen Gleis ankommt, mein Koffer viel zu schwer ist und bereits Verspätung angezeigt wird, setze ich, endlich im Zug, meine Kopfhörer auf und richte meinen Blick starr aus dem Fenster. Es ist mir egal wer einsteigt und es ist mir auch egal wer aussteigt.

Mit genau dieser Einstellung sitzen wohl 80% aller Menschen im Zug. Niemand mag sich mehr unterhalten und niemand schenkt mehr irgendjemandem Aufmerksamkeit. Auch ich gehöre oftmals zu diesen 80%.

Was passiert so alles um uns herum?

Habt ihr euch mal im Zug umgeschaut? Es ist faszinierend, was dort so alles passiert. 

Letzten Sonntag zum Beispiel auf meinem Weg zurück nach München, hat auf den 4 Sitzplätzen mit Tisch eine Mutter mit drei Kindern gesessen. 

Zwei Jungs, die im Alter zwischen 4 und 8 waren und ein Teenager, der von außen betrachtet ca. 17 Jahre alt wirkte.

Aufmerksam geworden, bin ich durch die Mutter, die sich lautstark mit ihrem ältesten Sohn in einer Fremdsprache unterhält. 

Sie scheint mit ihm zu schimpfen, dann lachen plötzlich beide. Der Sohn antwortet etwas, schließt seine großen „beats“ Kopfhörer an eines der 5 Handys, die auf dem Tisch liegen und dreht die Musik auf, lautlos singt er mit, während sein Kopf zum Beat nickt.

Sein kleiner Bruder hingegen scheint nichts von Kopfhörern zu halten. Mit lautem Ton spielt er ein Spiel auf seinem Nintendo.

Genervt von der abscheulichen Nintendo-Musik, drehe ich meine eigene lauter und folge dem abschätzenden Blick der Mutter, als zwei lachende junge Mädels mit je einem Bier in der Hand zu ihren Plätzen gegenüber der Familie zurückkehren. 
Auch die junge Dame, die auf dem Platz hinter der Familie ausgestreckt über beide Sitze liegt und schläft wird begutachtet.

Auf Wiedersehen und Good-Bye

Dann werden meine Lider schwer und meine Augen fallen zu. 

Als ich wieder wach werde, bremst der Zug gerade vor der Einfahrt in den Stuttgarter HBF. 

Die Dame neben mir, die ich bislang gar nicht wirklich wahrgenommen habe, teilt mir höflich mit, dass sie nun aussteigen müsse. 

Ich lasse sie raus und hebe ihren Koffer von der Gepäckablage. „Einen schönen Abend noch.“ Und das war’s wieder.

Ich ließ mich zurück in meinen Sitz fallen, packe eine Dose Red Bull und ein Nordsee-Sandwich aus und beginne mein Abendessen mit dem Gedanken „Hoffentlich habe ich eben im Schlaf nicht geredet.“

Der Zug hält und mit einem quietschenden Geräusch teilen die Türen mit, dass sie sich öffnen. 

„Biep, biep, biep“, es wird kurz laut und dann wieder leise. Die Meute vor den Türen bewegt sich nach draußen. Dann wird es wieder lauter. Die Meute von draußen kommt rein und beschwert sich erstmal über den vollkommen überfüllten Zug.

Der Kreativling

Ein junger Mann nutzt die Gelegenheit des freien Platzes neben mir. Höflich fragt er nach, ob der Platz noch frei sei. Mit vollem Mund nicke ich ihm zu und trinke den letzten Schluck aus der silber-blauen Dose.

Seine blonden Locken wirken zerzaust und er etwas außer Atem. Ich habe mein Sandwich noch nicht fertig gegessen, da packt er schon ein schwarzes Notizbuch aus und schreibt hektisch etwas auf.

Plötzlich legt er die Dauerschreibermine ab und fährt sich durch die Haare. Er greift wieder nach der Mine und tippelt nervös damit auf dem schmalen Tablett-Tisch neben seinem Notizbuch.

Ich schiele rüber und versuche seine Notizen zu entziffern. Erst nach einer unangemessen langen, beinahe schon peinlichen Zeit kann ich das Wort „Film“ in der Überschrift ausmachen.

Habe ich es mir doch gedacht. Ein Kreativling!

Manchmal läuft’s einfach nicht

Er vergräbt das Gesicht verzweifelt in seinen Händen. Ich muss schmunzeln, kenne ich diesen Moment doch nur zu gut.

Eine Kreativitätsblockade – Da hilft nichts. Wenn die Kreativität nicht sprudeln will, will sie halt nicht. Auch da heißt Nein dann Nein.

Er schaut kurz auf, legt die Stirn in Falten, seufzt und vergräbt sein Gesicht wieder.

Vom Mitleid überwältigt, frage ich ihn „Ist alles gut bei dir? Kann ich dir irgendwie helfen?“
Überrascht schaut er mich an, schüttelt den Kopf und antwortet „Nein. Ich glaube nicht.“ „Okay, es schaut nur so aus, als würde die Kreativität gerade mit dir verstecken spielen.“, lache ich. „Ist das so offensichtlich?“, fragt er. Ein Nicken als Antwort genügt.

Servus!

So kommen wir ins Gespräch. Der junge Österreicher erzählt mir, dass er gerade dabei ist seinen ersten Kinofilm zu produzieren. 

Der Rohschnitt steht schon, allerdings muss er noch gekürzt werden. Jetzt sitzt er vor dem gleichen Problem, wie jeder Journalist vor Veröffentlichung seiner Texte – Was kann raus und wie entscheide ich das eigentlich?

Ja, beim Filmen und beim Schreiben stellt sich gleichermaßen eine Betriebsblindheit ein. Als Autor empfindet man jedes Wort als wichtig, unabhängig davon, ob es geschrieben steht oder gesprochen wird.

Etwas verlegen schaut er mich an und fragt, ob ich mir denn mal die ersten paar Minuten anschauen wolle. Natürlich nehme ich das Angebot an. 

Nach den ersten 10 Minuten drückt er Pause. 

Interessiert hört er meinem Feed-Back zu, stellt Fragen, notiert sich meine Antworten und Anregungen. Mit dieser Methode arbeiten wir bis München dreiviertel des Dramas durch. 

Ich bin schwer beeindruckt von dem Material.

Erst als wir ausgestiegen sind, fällt uns auf, dass wir einander gar nicht vorgestellt haben. Er gibt mir seine Visitenkarte und verspricht mir einen besonderen Dank im Abspann des Films.

Servus again!

Am nächsten Tag sende ich ihm eine E-Mail und frage nach dem Link, über welchen ich mir das Ende des Filmes anschauen kann. Wir verabreden uns noch zum skypen.

Gestern Abend, nach Beendigung unseres Skype-Dates zum Besprechen der Schlussszenen, sitze ich noch lange auf meinen Schreibtischstuhl und denke nach.

Es ist nicht nur der Film, der mich nicht los lässt, auch die Tatsache, dass ich diese großartige Erfahrung beinahe verpasst hätte, weil ich wie 80% aller Zugpassagiere zu sehr mit mir selbst und meinem Smartphone beschäftigt gewesen bin.

Es hat wirklich Spaß gemacht mit Adrian zusammenzuarbeiten.

Ich freue mich schon auf den Kinostart des Films und werde ihn mir auf jeden Fall dann auch anschauen, selbst wenn ich dafür nach Österreich fahren muss. 

Schließlich muss ich doch kontrollieren ob der junge Mann mit den blonden Locken sein Versprechen eingehalten hat. ;-)

Auf geht‘s!


Also liebe Leute, wenn ihr das nächste Mal im Zug seid, haltet die Augen offen und traut euch auch mal jemanden anzusprechen. Keine Sorge, ihr merkt recht schnell, ob die Person neben euch an einem Gespräch interessiert ist oder nicht. Und ein paar nette Worte tun doch niemandem von uns weh, oder?