München


Am Freitagabend um kurz vor 18.00 Uhr eröffnet ein 18-jähriger Deutsch-Iraner das Feuer in einem Mc Donald‘s vor dem Olympia Einkaufszentrum (OEZ) in München. Dort trifft er auch seine ersten vier Opfer. Insgesamt tötet er 9 Menschen und richtet dann sich selbst. 36 weitere Personen verletzt er.


Eine traurige Bilanz. Das Thema wird auch heute noch, also drei Tage nach der Tat in den Medien ausdiskutiert. 
Fragen wie z.B. „Wie hieß er denn nun?“ Oder „War er wirklich Deutscher?“ beschäftigen noch viele Social Media Nutzer. 

Spiegel Online schreibt in einem Artikel, dass sein Name von den Behörden als David S. geführt worden sei. Ali habe er sich lediglich in „Gewaltspielen im Internet“ genannt, auch auf Facebook sei dies sein Name gewesen.

Andere Medien, z.B. Zeit online und n-tv  hingegen nennen ihn durchgängig „Ali S.“ oder „David Ali S.“. Ja, ich weiß. Diese furchtbare Lügenpresse.

*Update: Wie nun bekannt wurde, handelt es sich bei "Ali" um den Geburtsnamen den Amokläufers, den ließ er zu "David" ändern, weil er nicht als Muslim gesehen werden wollte.* 

Doch eigentlich könnt ihr die Fakten selbst finden, falls ihr sie nicht schon längst kennt. 
Ich möchte euch einen kleinen Einblick in mein Wochenende nach diesem furchtbaren Amoklauf geben.

Freitag, 18.10Uhr: Ich packe meine Sachen zusammen, bringe mein Glas in die Küche unseres Büros, verabschiede mich von meinen Kollegen und bahne mir den Weg Richtung Hauptbahnhof.
Kurz klingle ich bei meinem Bruder durch. Ein abendliches Ritual, das von uns als Feierabend-Call bezeichnet wird. Er ist schon Zuhause im viele hundert Kilometer entfernten Saarland. Ich wünsche ihm ein schönes Wochenende. Wir legen auf.

Ich beeile mich, in 40min steht ein guter Freund vor meiner Haustür im Stadtteil Bogenhausen. 

Am Abend zuvor habe ich extra einige coole Unternehmung für Freitagabend, Samstag und Sonntag raus gesucht, damit uns über‘s Wochenende auch nicht langweilig wird. 
 Dabei sind das Fest zu 500 Jahre Reinheitsgebot, Bites and Vibes und das Sommertollwood.

Endlich in der U-Bahn öffne ich in der Hoffnung auf leichte Unterhaltung die Studierenden-App Jodel. Hier können Studenten alles was sie bewegt anonym in 240 Zeichen an ihre Umgebung posten. Einer der ersten Beiträge lautet „Schießerei im OEZ!!! Haltet euch von dort fern!“ 
Die Kommentare darunter nehmen den Original-Jodler nicht ernst. „Hört doch mal auf Angst und Schrecken zu verbreiten!“ „Bild oder es ist nie so passiert!“ liest man darunter. 

Tatsächlich ist auch schon am Montag vergangene Woche ein Jodel aufgetaucht, in dem von einer Messerstecherei am HBF berichtet wurde. Die beschriebene Tat fand wenige Wochen zuvor in Nürnberg statt.

Schnell google ich "München OEZ News". Alles was ich finde liegt schon ein Jahr zurück. 

Irgendwo zwischen Hoffen und Bangen les ich die Jodelkommentare weiter „Meine Freundin arbeitet dort! Sie mussten sich verbarrikadieren! Es stimmt! Weg da!“ Ich aktualisierte die Google News. Nichts Neues. 

„Wer denkt sich bitte sowas Krankes aus?“, rege ich mich noch in einer Nachricht an eine Freundin auf. 

Dann ging’s ganz schnell. 

Mir fiel der Mann vor mir auf, der mehrmals versucht jemanden zu erreichen. In mir steigt ein mulmiges Gefühl auf. Er scheint verzweifelt. Niemand hebt ab.

18.26Uhr: tz online berichtet von Schüssen. 

Zur Beruhigung sende ich meinen Eltern einen Screenshot und die kurze Nachricht „Falls euch diese Nachricht erreicht, macht euch keine Sorgen. Ich bin nicht in der Nähe und auf dem Heimweg. Hab euch lieb“. 
Zu diesem Zeitpunkt steige ich gerade aus der U-Bahn aus.

18.35Uhr: Zeitgleich mit den ersten Nachfragen ob es mir gut geht, sende ich auch eine an eine Münchener Freundin. „Geht’s euch gut? Wo seid ihr?“ Es folgt Erleichterung. „Alles gut.“

18.40Uhr: Endlich Zuhause! Insgeheim hoffe ich immer noch darauf, dass sich da jemand einen schlechten Scherz erlaubt. Diese Hoffnung wird enttäuscht.

19.00Uhr: Ich schaue nervös aus dem Fenster und warte auf den silber-grünen Focus, der doch jetzt bald endlich um die Ecke biegen sollte. „Hoffentlich sind die Straßen noch nicht zu.“, denke ich. 

Es beginnt zu tröpfeln. 

Mein Blick pendelt zwischen Fenster und Smartphone hin und her. 

„Na endlich!“ Der Ford biegt um die Ecke. Ich schnappe mir schnell meinen Schlüssel und laufe die Treppen runter und auf die Straße. 

Endlich ein bekanntes Gesicht! Die erste Frage des jungen Mannes, der gerade aus dem Auto steigt lautet „Hast du das von der Schießerei am OEZ gehört?“ Ich nicke. „Es kursieren Gerüchte von 15 Toten und 30 Verletzten.“ 

Wir nehmen seinen Rucksack in Tarnfarben und verschwinden im Haus.

Der restliche Abend: Weitestgehend bestehen die nächsten Stunden aus dauerhaftem Stieren auf den Smartphone-Bildschirm. 

Ich könnte auch den Fernseher an machen, doch die Angst vor den Bildern ist zu groß. 

Lieber weiter N24 auf Facebook verfolgen. 

Wir diskutieren viel. Wir lachen selten über so manchen dummen Kommentar auf Facebook und wir malen uns die Meldungen von morgen aus. 
Irgendwann gegen Mitternacht und nach vielen besorgten Nachrichten von Verwandten und Freunden gehen wir dann schlafen.

Samstag, 9.08Uhr: Ich wache auf. Mein Schädel dröhnt. Mit zusammengekniffenen Augen versuche ich zu verstehen, was gestern passiert ist und was ich nur geträumt habe. 

Mein Handy blinkt. Zwei weitere sorgenvolle Nachrichten erinnern mich an den Amoklauf.

Ich lese mir die Meldungen von letzter Nacht durch. „Vorsichtige Entwarnung“ und „Nahverkehr rollt wieder“ brennen sich ein. 

10.24: Zum Frühstück geht’s trotzdem in die Stadt. 

Die U-Bahn Linie 4 verkehrt nur bis Odeonsplatz. Eine junge Frau fragt „Sind Stachus und Hauptbahnhof noch gesperrt?“ Keiner kennt die Antwort. Auch die MVV-App lässt uns im Stich. 

Die Stimmung in der U-Bahn ist irgendwie drückend. Keiner scheint sich so richtig wohl zu fühlen. Fast alle schweigen. 
 Und so sieht es auch in der Stadt aus. 
Es ist nur noch wenig zu sehen von dem unbekümmerten Leben in Deutschlands sicherster Großstadt. 

Viel Polizei ist unterwegs. Bei 26°C sitzen sie im Auto und fahren die Strecke von Marienplatz bis Odeonsplatz rauf und runter. 

Niemand lacht um uns herum.

11.58: Wir machen uns auf in den Englischen Garten. 

Vom Stachus mit der Tram bis zur Tivolistraße.
Nur wenige Menschen sitzen in der Tram. 
Endlich angekommen, fällt uns sofort auf, dass nur ein paar Leute auf den Wegen und den Wiesen zu finden sind. 

Weit hinten erkennen wir eine Horde Menschen. Wir laufen darauf zu. 

Endlich etwas Normalität. Ca. 100 junge Erwachsene trinken, hören Musik und sind gut gelaunt. 

In direkter Nähe setzen wir uns an das kalte Wasser die Isar. Es tut gut sich von der guten Laune der Meute anstecken zu lassen.

17.21: Screenshots sind im Umlauf. Angeblich ruft wieder ein junges Mädchen dazu auf, sich vor einem Mc Donald’s zu treffen. 

Die Angst in den Menschen sitzt tief. „Haltet euch von dort fern!“ und „Es passiert wieder!“, liest man ununterbrochen. Wir beschließen ins Kino zu gehen. 
Am Stachus versteht sich.

19.55: Das Kino füllt sich. 

Viele Eltern mit Kindern sind da und wollen den neuen Ice Age Film schauen. 
Die Eltern wirken angespannt, die Kinder fröhlich.

Sonntag, 9.21: Mal abgesehen von einigen Schauern bleibt die Nacht ruhig. 

Das mulmige Gefühl sich in der Öffentlichkeit zu bewegen, hat aber noch nicht bei jedem nachgelassen.

11.47: Mit der U-Bahn am Odeonsplatz angekommen schauen wir uns um. 
Beinahe lächerlich wie wenige Münchener unterwegs sind. 

Wir betreten eine italienische Bäckerei, besorgen uns Frühstück und fahren raus zu einem Spaziergang in die Partnachklamm. 
Jetzt wissen wir, wo die Menschenmassen hin sind. 
Und das kühle Bergwasser scheint den Verstand zu erfrischen. 
Oder ist es einfach nur die Ignoranz der Menschen, die jetzt wieder überhandnimmt? 
Nur noch wenige entrüsten sich über die „Lügenpresse“ nur noch wenige fragen nach Details. 

20.03: Zurück in München geht es mit der U-Bahn wieder ins Zentrum. 
Ziel diesmal ist der Viktualienmarkt. Eine Halbe, dann fahren wir wieder nach Hause. 
Gesagt - getan! Gegen 23.00Uhr gehen wir schlafen.

Montag 8.40: Heute Morgen, etwas früher als sonst, schaue ich mich am Hauptbahnhof um. 

Der Alltagstrott hat die meisten Menschen wieder gepackt. 
Wir hetzen aneinander vorbei. 
Doch heute überrascht mich kein Lächeln in der U-Bahn. 
Es ist immer noch ruhig. Beinahe gespenstig ruhig.

Traurig frage ich mich wie eine einzelne Person es schaffen konnte einer ganzen Stadt ihren Lebensmut zu rauben? 

Am liebsten würde ich schreien: Amokläufe passieren, man kann sie nicht verhindern! Die Kunst ist es nur, sich auch wieder davon zu erholen! Wo bleibt die „Mia san Mia“-Mentalität? Wo das Lachen der Madeln und Buan? Und wo bleiben wir?

Eine gute Tat pro Tag


Eine typische Zugfahrt beginnt

Am vergangenen Wochenende habe ich mal wieder über fünf Stunden Zugfahrt auf mich genommen, um meine Lieben Zuhause „Hallo“ zu sagen.

Donnerstagabend begann die Reise nach 8 anstrengenden Stunden im Büro. Genervt davon, dass der Zug schon wieder an einem anderen Gleis ankommt, mein Koffer viel zu schwer ist und bereits Verspätung angezeigt wird, setze ich, endlich im Zug, meine Kopfhörer auf und richte meinen Blick starr aus dem Fenster. Es ist mir egal wer einsteigt und es ist mir auch egal wer aussteigt.

Mit genau dieser Einstellung sitzen wohl 80% aller Menschen im Zug. Niemand mag sich mehr unterhalten und niemand schenkt mehr irgendjemandem Aufmerksamkeit. Auch ich gehöre oftmals zu diesen 80%.

Was passiert so alles um uns herum?

Habt ihr euch mal im Zug umgeschaut? Es ist faszinierend, was dort so alles passiert. 

Letzten Sonntag zum Beispiel auf meinem Weg zurück nach München, hat auf den 4 Sitzplätzen mit Tisch eine Mutter mit drei Kindern gesessen. 

Zwei Jungs, die im Alter zwischen 4 und 8 waren und ein Teenager, der von außen betrachtet ca. 17 Jahre alt wirkte.

Aufmerksam geworden, bin ich durch die Mutter, die sich lautstark mit ihrem ältesten Sohn in einer Fremdsprache unterhält. 

Sie scheint mit ihm zu schimpfen, dann lachen plötzlich beide. Der Sohn antwortet etwas, schließt seine großen „beats“ Kopfhörer an eines der 5 Handys, die auf dem Tisch liegen und dreht die Musik auf, lautlos singt er mit, während sein Kopf zum Beat nickt.

Sein kleiner Bruder hingegen scheint nichts von Kopfhörern zu halten. Mit lautem Ton spielt er ein Spiel auf seinem Nintendo.

Genervt von der abscheulichen Nintendo-Musik, drehe ich meine eigene lauter und folge dem abschätzenden Blick der Mutter, als zwei lachende junge Mädels mit je einem Bier in der Hand zu ihren Plätzen gegenüber der Familie zurückkehren. 
Auch die junge Dame, die auf dem Platz hinter der Familie ausgestreckt über beide Sitze liegt und schläft wird begutachtet.

Auf Wiedersehen und Good-Bye

Dann werden meine Lider schwer und meine Augen fallen zu. 

Als ich wieder wach werde, bremst der Zug gerade vor der Einfahrt in den Stuttgarter HBF. 

Die Dame neben mir, die ich bislang gar nicht wirklich wahrgenommen habe, teilt mir höflich mit, dass sie nun aussteigen müsse. 

Ich lasse sie raus und hebe ihren Koffer von der Gepäckablage. „Einen schönen Abend noch.“ Und das war’s wieder.

Ich ließ mich zurück in meinen Sitz fallen, packe eine Dose Red Bull und ein Nordsee-Sandwich aus und beginne mein Abendessen mit dem Gedanken „Hoffentlich habe ich eben im Schlaf nicht geredet.“

Der Zug hält und mit einem quietschenden Geräusch teilen die Türen mit, dass sie sich öffnen. 

„Biep, biep, biep“, es wird kurz laut und dann wieder leise. Die Meute vor den Türen bewegt sich nach draußen. Dann wird es wieder lauter. Die Meute von draußen kommt rein und beschwert sich erstmal über den vollkommen überfüllten Zug.

Der Kreativling

Ein junger Mann nutzt die Gelegenheit des freien Platzes neben mir. Höflich fragt er nach, ob der Platz noch frei sei. Mit vollem Mund nicke ich ihm zu und trinke den letzten Schluck aus der silber-blauen Dose.

Seine blonden Locken wirken zerzaust und er etwas außer Atem. Ich habe mein Sandwich noch nicht fertig gegessen, da packt er schon ein schwarzes Notizbuch aus und schreibt hektisch etwas auf.

Plötzlich legt er die Dauerschreibermine ab und fährt sich durch die Haare. Er greift wieder nach der Mine und tippelt nervös damit auf dem schmalen Tablett-Tisch neben seinem Notizbuch.

Ich schiele rüber und versuche seine Notizen zu entziffern. Erst nach einer unangemessen langen, beinahe schon peinlichen Zeit kann ich das Wort „Film“ in der Überschrift ausmachen.

Habe ich es mir doch gedacht. Ein Kreativling!

Manchmal läuft’s einfach nicht

Er vergräbt das Gesicht verzweifelt in seinen Händen. Ich muss schmunzeln, kenne ich diesen Moment doch nur zu gut.

Eine Kreativitätsblockade – Da hilft nichts. Wenn die Kreativität nicht sprudeln will, will sie halt nicht. Auch da heißt Nein dann Nein.

Er schaut kurz auf, legt die Stirn in Falten, seufzt und vergräbt sein Gesicht wieder.

Vom Mitleid überwältigt, frage ich ihn „Ist alles gut bei dir? Kann ich dir irgendwie helfen?“
Überrascht schaut er mich an, schüttelt den Kopf und antwortet „Nein. Ich glaube nicht.“ „Okay, es schaut nur so aus, als würde die Kreativität gerade mit dir verstecken spielen.“, lache ich. „Ist das so offensichtlich?“, fragt er. Ein Nicken als Antwort genügt.

Servus!

So kommen wir ins Gespräch. Der junge Österreicher erzählt mir, dass er gerade dabei ist seinen ersten Kinofilm zu produzieren. 

Der Rohschnitt steht schon, allerdings muss er noch gekürzt werden. Jetzt sitzt er vor dem gleichen Problem, wie jeder Journalist vor Veröffentlichung seiner Texte – Was kann raus und wie entscheide ich das eigentlich?

Ja, beim Filmen und beim Schreiben stellt sich gleichermaßen eine Betriebsblindheit ein. Als Autor empfindet man jedes Wort als wichtig, unabhängig davon, ob es geschrieben steht oder gesprochen wird.

Etwas verlegen schaut er mich an und fragt, ob ich mir denn mal die ersten paar Minuten anschauen wolle. Natürlich nehme ich das Angebot an. 

Nach den ersten 10 Minuten drückt er Pause. 

Interessiert hört er meinem Feed-Back zu, stellt Fragen, notiert sich meine Antworten und Anregungen. Mit dieser Methode arbeiten wir bis München dreiviertel des Dramas durch. 

Ich bin schwer beeindruckt von dem Material.

Erst als wir ausgestiegen sind, fällt uns auf, dass wir einander gar nicht vorgestellt haben. Er gibt mir seine Visitenkarte und verspricht mir einen besonderen Dank im Abspann des Films.

Servus again!

Am nächsten Tag sende ich ihm eine E-Mail und frage nach dem Link, über welchen ich mir das Ende des Filmes anschauen kann. Wir verabreden uns noch zum skypen.

Gestern Abend, nach Beendigung unseres Skype-Dates zum Besprechen der Schlussszenen, sitze ich noch lange auf meinen Schreibtischstuhl und denke nach.

Es ist nicht nur der Film, der mich nicht los lässt, auch die Tatsache, dass ich diese großartige Erfahrung beinahe verpasst hätte, weil ich wie 80% aller Zugpassagiere zu sehr mit mir selbst und meinem Smartphone beschäftigt gewesen bin.

Es hat wirklich Spaß gemacht mit Adrian zusammenzuarbeiten.

Ich freue mich schon auf den Kinostart des Films und werde ihn mir auf jeden Fall dann auch anschauen, selbst wenn ich dafür nach Österreich fahren muss. 

Schließlich muss ich doch kontrollieren ob der junge Mann mit den blonden Locken sein Versprechen eingehalten hat. ;-)

Auf geht‘s!


Also liebe Leute, wenn ihr das nächste Mal im Zug seid, haltet die Augen offen und traut euch auch mal jemanden anzusprechen. Keine Sorge, ihr merkt recht schnell, ob die Person neben euch an einem Gespräch interessiert ist oder nicht. Und ein paar nette Worte tun doch niemandem von uns weh, oder?

Nichtstun – Wieso, Weshalb, Warum?



Quelle: http://bit.ly/29z6fXB



Die Leistungsgesellschaft

Wir leben heute in einer Leistungsgesellschaft. 
Längst reicht es nicht mehr nur im Job 100% zu geben. 
Nein, wir sollen zum Sport, zum Joggen, zum Yoga, auf dem Spielplatz trainieren, während die Kinder putzmunter spielen oder sogar Bücher in Höchstgeschwindigkeit lesen.

Wer nichts leistet, der ist auch nichts. 
Diese Meinung hat sich in den Köpfen vieler festgesetzt. Ohne Rücksicht auf Verluste, werden überall effiziente Ergebnisse erwartet. Ob bei der 14-Tage-Diät, dem 30-Minuten-Essen oder dem Power-Napping. 
Mehr Leistung in kürzerer Zeit wird erwartet.

Doch was wurde aus dem guten alten Feierabend? 

Viele von euch kennen bestimmt noch das Lied aus der Rügenwalder Pommersche Werbung „Feierabend wie das duftet…“ (Ohrwurm incoming).
Darin konnte man, soweit ich mich erinnern kann, die große glückliche Rügenwalder Familie sehen, die sich in freier Natur an einen schön gedeckten Tisch setzt und einfach nur zusammen isst und lacht.
Trifft man sich heute am Esstisch, hält Papa noch sein Tablet mit der letzten Geschäftsmail offen in der Hand, die Tochter antwortet noch schnell ihrer besten Freundin, während der Sohn mit irgendeinem Smartphone-Game beschäftigt ist - und Mama? 
Mama versucht allen ihre Mobile-Devices abzunehmen. (Die Rollen sind in diesem Szenario natürlich beliebig austausch- und erweiterbar.) 
Wir haben einfach keine Zeit mehr um nur zu essen.

Keine Zeit

Wir haben auch keine Zeit mehr um nur fernzusehen. 
Es gibt auch keinen Grund mehr nur noch eine Sache alleine zu tun. 
Schließlich können wir doch unsere Arbeit, unseren Lernstoff für die Uni und unsere Sportübungen überall mithinnehmen.

Das Smartphone immer mit dabei. Das MacBook ist auch immer im Gepäck und mit der praktischen Sport-App, spart man sich sogar den Gang ins Fitness-Studio. 
Wodurch man während der täglichen Sit-Ups sogar das BWL-Skript noch durchgehen kann.
Ist es nicht schön immer und überall so effizient zu sein?

Ich sage Nein!

Und ich gebe zu – Ich bin ein Nichtstuer!
Für mich gibt es nichts das mehr entspannt, als mich nach einem stressigen Tag an der Uni oder der Arbeit einfach auf‘s Bett zu schmeißen, den Fernseher an zu machen und für eine gewisse Zeit die Augen zu schließen und einfach für niemanden erreichbar zu sein.

Und mit niemanden, meine ich auch wirklich niemanden. 
Kein Handy, kein Laptop, rein gar nichts wird in der Zeit in die Hand genommen oder gar angeschaut.

Ob ich danach noch etwas mache und was, das entscheide ich ganz alleine. Ich lasse mich weder von der Gesellschaft zum Sport treiben, noch zum Ausgehen zwingen etc.

Aber das ist doch verschwendete Zeit?

Vom Grundprinzip stimmt das. 
In dieser Zeit bin ich nicht produktiv. 
Ich schaffe nichts, ich lerne nichts und ich trainiere nichts. Und dennoch geht es mir danach hervorragend.

Bewege ich nämlich nach der Entspannungsphase meinen (ja, ich gebe zu) faulen Hintern nach oben, mache mir einen schönen knackigen Salat und setze mich danach an den Lernstoff, die Projektarbeit, oder egal was, schaffe ich es über mehrere Stunden hinweg, nicht selten fünf bis sechs, noch einmal anständig produktiv zu sein. 

Pro-Tipp: Das Ganze funktioniert auch ohne Salat und dafür mit Schokolade ;-)

Warum mache ich das?

Natürlich ist meine einzige Intention dahinter nicht nur danach leistungsstärker zu sein. 
Nein, ich brauche diese Ruhe einfach. 
Das stumpfsinnige Starren an die Decke, Wand oder den Flimmerkasten hilft mir, die Geschehnisse des Tages zu verarbeiten.

Gönne ich meinen Körper und meinem Hirn nicht diese Auszeit, fällt mir das Einschlafen am Abend schwerer, ich bin unausgeglichener, wichtige Sachen entfallen mir leichter und Sporteln am Abend macht auch weniger Spaß, wenn man nur müde und gestresst ist.

Die Gefahr

Jeder weiß es – Studenten sind faul. 

Ich bin, zumindest teilweise, ein Paradebeispiel dafür. 
Zum Sport gehe ich höchstens einmal die Woche und auch Lernen fällt besonders zu Semesterbeginn schwer, dafür bin ich lieber abends lange unterwegs und Feier mit meinen Kommilitonen. 

Doch geht es auf die Semestermitte oder gar das Ende zu, ändert sich das Ganze.
Es wird immer schwieriger mich nach meiner Erholungsphase zum Aufstehen zu motivieren. 

Ja, das Bett ist so kuschelig. Nur noch eine Folge. Lernen kann ich auch noch in einer Stunde… oder morgen… oder oder oder. 

Jeder kennt diese Ausreden und wahrscheinlich hat auch schon jeder mindestens einer davon nachgegeben und ist am Ende zu dem Schluss gekommen „Jetzt ist es auch zu spät zum Lernen/Sporteln/Aufstehen.“

Pro-Tipp um den inneren Schweinehund zu besiegen:

Eine kleine Belohnung hilft oft schon. 
In der vergangenen Prüfungsphase, habe ich mir immer Eistee selbstgemacht und damit dieser in meiner Dachgeschoss-Wohnung auch schön kühl bleibt, in den Kühlschrank gestellt. (Eistee kann hier beliebig durch Schokolade oder Eis – ohne Tee – ersetzt werden.) 
Um an die Belohnung heran zu kommen, muss man aufstehen und dann lohnt sich das Hinlegen auch nicht mehr wirklich. 
Obwohl, naja… 
Zumindest die meiste Zeit hat es funktioniert.

Das Abschluss-Plädoyer

Letzten Endes muss natürlich gesagt werden, dass man nicht einfach von sich auf andere schließen kann, auch nicht von mir auf euch.

Mir hilft das Nichtstun. Anderen hilft dafür wohlmöglich Yoga und Dritte brauchen das tägliche Wettrennen auf dem Laufband mit sich selbst um runterzufahren und wieder klar denken zu können.

Keine Frage, jeder Mensch ist anders und das ist auch gut so.

Persönlich geht es mir lediglich darum, dass wir uns nicht von der Gesellschaft vorschreiben lassen, in jeder Sekunde produktiv sein zu müssen und andauernd etwas zu leisten. 

Vielleicht wollt ihr es auch mal versuchen - einfach nichts tun. Egal ob im Garten, auf dem Bett oder im Park, überall ist Platz um einfach mal alles beiseite zu legen und ja, richtig, nichts zu tun und einfach mal Feierabend zu machen!

Der Brexit und die Jugend


http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/Bilder/Energie/eu-energieeffizienz-richtlinie,property=bild,bereich=bmwi2012,sprache=de,width=280,height=210.jpg

Von Klum, über Böhmi, bis hin zum Brexit

Die schier endlosen Prüfungen haben nun doch noch ihr Ende gefunden, so dass es hier im Blog nun in die zweite Runde geht. 

In den letzten Wochen und Monaten hat sich einiges angestaut – vom katastrophalen Germanys Next Topmodel Finale, bei dem schon den Jüngsten beigebracht wird, wie ungerecht das Leben ist, denn man quält sich erst wochenlang von einer Prüfung zur nächsten, bis dann im Finale die Modell-Mama Heidi Klum alleine und völlig subjektiv entscheidet wer gewinnt; über den Fall Böhmi; bis hin zu dem Britischen Aus in der EM und der EU. 

Zu all diesen Themen wurde bereits in letzter Zeit sehr viel geschrieben, diskutiert und analysiert.

Ich möchte weder meine Kollegen aus der Presse wiederholen, noch euch langweilen und dennoch liegt mir eines der oben genannten Themen besonders am Herzen.

Nein, es ist nicht Modell-Mami Heidi, sondern der Brexit. 

Von der Geschichte, wie einer mal das Weite suchte

Das Verlassen der EU durch Großbritannien: Gerade in den öffentlich-rechtlichen Medien werden weitestgehend nur die wirtschaftlichen Folgen, sofern es denn längerfristig überhaupt welche geben wird, abgearbeitet.

Viel interessanter ist es jedoch sich das Wahlergebnis dem Alter nach gestaffelt anzuschauen. 

Ja, ich weiß, das haben auch schon viele meiner Kollegen geschafft, hier kommt trotzdem nochmal eine kleine Grafik dazu:

Quelle: http://bit.ly/29r7gU5
























Die Frage nach dem großen Warum

Jetzt kommen wir zu der Frage, auf die nur wenige Kollegen eingehen: Warum liegt die Diskrepanz zwischen den Befürwortern und den Gegnern des EU-Ausstiegs im Alter der Wähler? Welche Nachteile sehen die jungen Briten im Verlassen der EU, die die Älteren nicht sehen oder einfach nur anders bewerten?

Zuerst einmal muss dafür betrachtet werden, wie es überhaupt zu diesem Votum kommen konnte. James Dyson, Geschäftsführer des gleichnamigen Unternehmens sagte in einem Interview Großbritannien werde von den Deutschen dominiert und drangsaliert. 

So empfinden viele britische Arbeiter, die meist unterbezahlt werden.
Und genau so entstand in dieser breiten Masse die Angst vor einem bevorstehenden Scheitern, dem Scheitern der hart arbeitenden Menschen. 

Und wer ist der Schuldige? Die EU!

Doch ist die EU wirklich so böse? 


Die vielen Vorteile, wie z.B. vereinfachte Zahlungs- und Marktbedingungen wurden einfach übersehen. 
Es macht in den Augen der Mehrheit der Briten keinen Unterschied, ob sie bleiben oder gehen. Im Gegenteil, Gehen wurde als die angenehmere Alternative angesehen.

Nicht zuletzt durch die inspirierende Erzählung des Brexit-Lagers von einem Staat, der sich seine Souveränität auf friedlichem Wege wiederholt.

Was das „Leave“ für die Jungend bedeutet, scheint dabei völlig außer Acht gelassen worden zu sein. 

Was bedeutet es denn nun für die Jugend? 
 
Die Forschungen vieler Universitäten werden mit Fördergeldern der EU unterstützt. Diese könnten bzw. werden jetzt wegfallen. In der Folge werden die Studiengebühren steigen und bei den horrenden Mieten, die ohnehin schon in London herrschen, werden sich nur noch wenige das Studieren leisten können.

Das spontane „semester abroad“ in Europa wird nun langfristig geplant werden müssen mit Berücksichtigung der Fragen ob ein Visum benötigt wird, für den längeren Aufenthalt oder ob bei einem Auslandspraktikum eine Arbeitserlaubnis notwendig sein wird.

Das Studieren und Arbeiten wird dadurch nicht nur teurer, sondern auch um Längen unattraktiver. Dabei wollen die meisten britischen Jugendlichen eine offene und kulturell vielschichtige Gesellschaft, wofür sie nicht nur bereit sind selbst Auslandsaufenthalte durchzuführen, sondern auch Europäische Mitbürger willkommen heißen. 
Genau jene offenherzige Kultur möchte Londons Bürgermeister Sadiq Khan weiterführen und beteuert deshalb, dass auch weiterhin Europäer in der britischen Hauptstadt willkommen seien.


Wie konnte es soweit kommen?
 
Die Zahl klingt beeindruckend: 76% der Wähler zwischen 18 und 24 möchten Teil der EU bleiben. Schade dabei ist nur, dass lediglich ca. ein Drittel der Wahlberechtigten in jenem Alter zur Wahl gegangen sind.

Warum die Wahlbeteiligung in jener Altersklasse so gering war, darüber lässt sich nur spekulieren. 

Eine Studentin erklärt z.B. SZ-Reporter Jan Kedves, dass zu der Zeit Prüfungsphase gewesen wäre.(*) Und ich kann es verstehen, auch mich hat in den letzten Wochen alles kalt gelassen, was nicht mit meinen Prüfungsfächern zu tun hatte.

Außerdem muss sich jeder Wähler im Vorhinein im aktuellen Wählerverzeichnis registrieren lassen, denn dort wird man nach einem Umzug oder als Erstwähler nicht automatisch aufgenommen und dafür hat doch nun wirklich kein Student im Prüfungsstress die Nerven.

Aber nicht jeder junge Erwachsene saß lernend in der Bib. Nein, es gab auch jene, die sich auf dem legendären Glastonbury Festival herumtrieben und feierten.

Zu dem kam das schlechte Wetter im Süden Englands und in London. Durch starke Regenfälle konnten viele potentielle Wähler nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in ihre Heimatorte zurück, wo sie hätten wählen dürfen.

Nichtsdestotrotz 

Ja, der knappe Wahlausgang kann eine Verkettung vieler unglücklicher Zufälle gewesen sein, aber dennoch hat sich jeder, der nicht zur Wahl gegangen ist bewusst dafür entschieden, denn eine Teilnahme an der Wahl war sowohl online, als auch per Briefwahl möglich.

Jetzt finden die Jugendlichen ihre Stimme wieder. 

Vergangenen Samstag (02.07.2016) gingen viele von ihnen auf die Straße und protestierten mit Slogans wie „I love EU“ oder „Wir sind die 48 Prozent!“

Zu spät? 

Ist es jetzt schon zu spät für die kontinentale Freiheit von Studenten und Arbeitnehmern? 
Ist es schon zu spät sich Gedanken über die ausbleibenden Fördergelder der EU zu machen? 
Haben die „Alten“ tatsächlich den „Jungen“ die Zukunft verbaut? 
Und gilt es jetzt einfach klein beizugeben und Demokratie aushalten zu müssen?

All diese Fragen werden sich in naher Zukunft klären. Bis dahin heißt es abwarten und das Wahrergebnis und die damit zusammenhängende Unzufriedenheit als Weckruf in der ganzen EU zu verstehen. 

Wir haben eine Stimme! Nun müssen wir sie nur noch gebrauchen!


(*) Die interessante Reportage von Jan Kedves "Brexit: Noch ist London nicht verloren" findet ihr übrigens hier: http://bit.ly/29nNgj1