Die Bundestagswahl - Pure Enttäuschung oder doch eine neue Chance?

Okay Leute, sind wir mal ehrlich, gestern war Bundestagswahl. Das vorläufige Endergebnis steht fest und so ganz zufrieden ist eigentlich niemand. Klar, AfD und FDP können große Gewinne verzeichnen, aber Herr Gauland will „Frau Merkel oder wen auch immer jagen“ und eine Koalition zwischen FDP und Grünen wird wohl auch kein allzu einfaches Ding.

Quelle: http://bit.ly/2yBMGbC


Ich bin eine von drei Millionen Erstwählerstimmen. Ich habe Wahlprogramme gelesen, mir Stimmen rund um die Politik angehört, Polittalks angeschaut, Briefwahl beantragt und nach langem hin und her zwei Kreuzchen gesetzt, den Brief in den nächsten Briefkasten geworfen und mein Job war erledigt.

Gestern wartete ich gespannt auf die ersten Ergebnisse. Um kurz vor 18 Uhr begann das Trauerspiel. Kurzzeitig dreht sich mir der Magen um, ob das am fettigen Chili Cheese Burger einer bekannten Burgerkette lag oder am Wahlergebnis ist eigentlich gleich.

Entsetzt war ich jedenfalls darüber, dass es eine rechtspopulistische Partei im Jahr 2017 als drittstärkste Kraft in den Bundestag schafft. Nur wenige Minuten nach 18.00 Uhr trudelten die ersten Nachrichten bei mir ein. „Wie ist das möglich?“ oder etwa „Und wir haben uns vor wenigen Jahren in der Schule noch gefragt wie das 1933 passieren konnte. Jetzt erleben wir es live.“ Etwas humorvoller waren die Nachrichten nach der Meldung, dass die AFD 88 Sitze erhalten solle. „Zufall? Das ist wohl ein Fall für Galileo Mystery“ ploppte auf meinem Smartphone-Bildschirm auf. Ich schmunzelte kurz. Irgendwo zwischen Wirklichkeitsflucht, Entsetzen und tiefer Enttäuschung versuchte ich einige aufgebrachte Freunde zu beruhigen.

In meinem Beitrag über den Brexit schrieb ich schon einmal „Demokratie heißt eben auch Demokratie aushalten zu können.“

Natürlich liegt es nahe, dass viele ehemalige Nicht-Wähler das Wahlprogramm nicht gelesen haben und dennoch die AfD gewählt haben. Natürlich ist die Wut über diesen Umstand auch berechtigt und nachvollziehbar. Und natürlich ist eigentlich ein Herr Gauland, der Frau Merkel jagen möchte nicht tragbar, aber wir wollen uns nicht an einer Formulierung aufhängen. Auch ein Herr Gauland, der die Integrationsministerin Özoğuz „in Anatolien entsorgen“ möchte ist nicht tragbar, aber wir wollen ja nicht spitzfindig sein und die AFD auch noch in die rechte Ecke stellen, denn da gehört sie natürlich auf gar keinen Fall hin. Auch wenn laut Infratest dimap im Auftrag der ARD 99% der AfD-Wähler es gut finden, dass die Partei den Einfluss des Islam in Deutschland verringern will. (https://www.welt.de/politik/deutschland/article168989573/Welche-Parteien-die-meisten-Stimmen-an-die-AfD-verloren.html)

Quelle: http://bit.ly/2ftu88Q
Im Ernst Leute, merkt ihr etwas von dem Einfluss des Islams auf Deutschland? Also ich ehrlich gesagt nicht. Im Gegenteil, mir kommt es eher so vor, als wolle Deutschland den Islam noch kleiner halten, als er ohnehin ist. Wir diskutieren über Kopftücher und Burkas, feiern uns aber zeitgleich aufgrund unserer Religionsfreiheit. Ach ja, im Gegenzug haben wir schließlich auch Kreuze an Schulen verboten. Wir sind ja so gerecht und tolerant und bevor wir jemand anderem die Freiheit zu sprechen, die er möchten, grenzen wir lieber die unsere ein.

Wie ihr seht, ist es ok mit der Politik unzufrieden zu sein. Es ist ok, die bisherige Politik zu kritisieren. Das Internet ist nur noch für die wenigsten Menschen Neuland und auch nicht jeder kann etwas mit der deutschen Leitkultur anfangen und das ist vollkommen in Ordnung so.

Jeder darf seine eigene Meinung ausdrücken und jeder darf dazu stehen. Und in den nächsten 4 Jahren dürfen wir jetzt sehen, was es bedeutet, wenn 94 rechtspopulistische bis rechtsradikale Menschen ihre Meinung im Bundestag kundtun.

Nicht zu Unrecht äußert sich der Präsident des Zentralrats der Juden besorgt über den Bundestagseinzug der AfD. „Leider sind unsere Befürchtungen wahr geworden: Eine Partei, die rechtsextremes Gedankengut in ihren Reihen duldet und gegen Minderheiten in unserem Land hetzt, ist jetzt nicht nur in fast allen Länderparlamenten, sondern auch im Bundestag vertreten“. (http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-09/frauke-petry-will-nicht-der-afd-fraktion-angehoeren)

Quelle: http://bit.ly/2xqnZRW
Doch wenn wir das ganze mal zusammenfassen und versuchen einen positiven Schluss zu ziehen, muss gesagt werden, dass die AfD jetzt Inhalte bringen muss, von denen sie zwar oft gesprochen hat, aber die sie nie erbracht hat. Als drittstärkste Kraft reicht es nicht mehr aus, nur dagegen zu sein, darauf zu pochen, dass man der Kleine David hinter dem großen Goliath ist und sobald es um Inhalte geht, können viele Wähler die Augen nicht mehr davor verschließen, dass die Partei weit rechts der Mitte liegt.



Demokratie heißt Demokratie auszuhalten. Jetzt liegt es an uns Demokratie auszuhalten und sobald auch nur die Gefahr besteht, dass die Demokratie abgeschafft werden könne, müssen wir reagieren. Es liegt an uns für unsere Einstellungen einzustehen. Es liegt an uns die Stimme zu erheben, immer wenn eine Minderheit bedroht wird und es liegt an uns die Menschen bei Differenzen abzuholen und über wahre Alternativen zu sprechen. Der Versuch AfD-Wähler zu verstehen ist zwar nicht unbedingt verkehrt, dennoch sollte es jetzt unsere Aufgabe sein, die Gesellschaft mit ihren Themen zu verstehen. Wir müssen Themen hochbringen, über Themen sprechen und Angstszenarien abbauen und ihnen nicht mehr Platz einräumen. Wollen wir einen tatsächlich Rechtsruck in den Köpfen der Menschen verhindern, müssen wir mit ihnen über ihre Themen sprechen und nicht unsere Verantwortung an die Politik abgeben, wie wir das seit vielen Jahren bereits getan haben.

Und sind wir mal ehrlich, 13% für die AfD bedeuten auch, dass immerhin 87% der wählenden Deutschen andere Ansichten vertreten und das ist doch schon mal ein Anfang.